Im Zug unterwegs

Geschichten vom Bahnfahren

Verkaufsshows in der Bahn

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Hatte ich eigentlich schon von der Verkaufsshow im Zug berichtet? Nein?

Da sitze ich in meinem morgendlichen Zug zur Arbeit und es ist 6:50 Uhr. Eigentlich müsste ich nun in meiner kurzen, aber nötigen Tiefschlafphase sein, denn um 7:25 Uhr kommt mein Zug in Wiesbaden an. Unterwegs im Zug bin ich seit 5:03 Uhr und es ist bitterkalt an diesem Wintertag.

Frankfurt Flughafen Fernbahnhof



 

Der ICE ist aber angenehm gewärmt und hingegen der Ausfälle der Klimaanlage. Wenn die Temperaturen über 30°C krabbeln, funktioniert die Heizung sehr gut, auch wenn es unter 0°C geht. Wie jeden Morgen fährt der Zug in den Bahnhof Montabaur ein und dieselben Menschen steigen in den Zug, die schon seit mindestens fünf Jahren dort einsteigen und setzen sich auf denselben Platz, auf dem sie ebenfalls schon seit mindestens fünf Jahren jeden Morgen sitzen. Die Routine ist immer dieselbe: Im Winter wird die Jacke ausgezogen, an denselben Haken gehangen oder in das Gepäckfach oben an der Decke gelegt, immer schön in dieselbe Richtung gefaltet und dann mit einem routinierten Schwung in die blauen Sessel gerutscht. Personen mustern die Sitze, als ob sie erkennen könnten, ob ein Fleck schon immer da war oder neu ist? Sie scheinen sich zu fragen: Ist das derselbe Wagen wie gestern? Funktioniert die Steckdose am Sitz heute schon wieder nicht? Haben wir WLAN im Zug? Funktioniert der Hotspot der Telekom? Habe ich mein Auto abgeschlossen? Wie bin ich eigentlich zum Bahnhof gekommen? Habe ich die Kaffeemaschine zuhause ausgeschaltet? Kennen Sie das? Ja? Dann sind Sie hiermit klassifiziert als Fernpendler, der schon mehrere Jahre mit dem Zug zur Arbeit fährt. In dieser Routine wähnte auch mich gut aufgehoben, doch an diesem Tag sollte alles anders sein. Eine Hinreise der ungewöhnlichen Art liegt vor mir.

Die Gruppe, die jeden Tag den Doppelvierer besetzt, ist plauderig: Lautes Lachen und angeregte Unterhaltungen stören den immer gleichen Ablauf des Morgens. Sie lassen sich in die Sitze plumpsen und dann geht es los. Die Alpha-Pendlerin packt aus ihrer Plastiktüte einen Katalog aus und viele kleine Tütchen mit Schmuck. Ich kann es kaum fassen, was nun beginnt. Sie erhebt sich aus ihrem Gangplatz und stellt sich in die Mitte des Ganges und fängt an, ihre Ware zu präsentieren. Die sieben Frauen auf den Sitzen hören interessiert zu und ich höre „Ahs und Ohs“. Da ist die Zeit reif, meinen iPod auszustellen und der Präsentation zu lauschen. Ich erhalte nun tiefere Einblicke in die Art von Schmuck, den man sich selber zusammenbauen kann. Ringe, Broschen, Ketten, alles, was das weibliche Herz höher schlagen lässt. Jedes Teil wird einzeln in einer 30-Sekunden-Präsentation vorgestellt. In der kommenden halben Stunde werden ca. 50 Präsentationen wie im Shoppingkanal im TV gezeigt und danach geht die Orderliste durch die Hände der sieben Frauen. Das Geschäft scheint sich gelohnt zu haben und meine Mitpendler sind genervt. Ich höre beim Aussteigen Worte wie „das ist eine Unverschämtheit, was DIE sich da erlaubt“ und weitere wenig freundlich gemeinte Bemerkungen. Ich denke mir meinen Teil und als Vertriebler finde ich die Idee gar nicht mal so schlecht. Nichtsdestotrotz sollte man sich besser in ein Abteil zurückziehen, denn dort würde man die anderen Mitreisenden nicht stören.

Dann am nächsten Morgen von Köln bis Montabaur: Dieselbe Ruhe wie jeden Morgen – begleitet von denselben Fragen, die einem durch den Kopf gehen. Dann steigt in Montabaur wieder der Achterklub in den Zug und heute, sie erraten es nicht, geht es um Schminke. Dieses Mal habe ich meinen iPod lauter gestellt und habe nur der Mimik der Präsentierenden zugesehen. Wieder kopfschütteln in Wiesbaden bei meinen Mitpendlern.

Der dritte Tag, die dritte Show, heute dann die bekannten Plastikdosen, die jeder kennt und ich frage mich, ob die Frau

a) mit einem gebrandeten Wagen zum Bahnhof fährt

b) wie sie es logistisch hinbekommt, die ganzen Teile jeden Morgen mitzuschleppen und

c) was wir morgen für ein Produktfeuerwerk erleben werden?

Doch das Feuerwerk am vierten Tag der Woche ist verhalten. Der geneigte Betrachter des Geschehens sieht nur ein Katalog, eingehüllt in einen Privatsphäre heischenden Schutzumschlag, durch die 16 Hände der interessierten Damen kreisen. Ich vermute mal, es ging hier um Nachtwäsche oder Ähnliches – doch das ist reine Spekulation.

Und letztlich, auch wenn ich die Idee des Vertriebes im Zug grundsätzlich nicht übel finde und soviel Pragmatismus auch ein Stück Anerkennung verdient, sollte die Rücksichtnahme auf Mitreisende nicht außer Acht gelassen werden.

Wenn Sie schon etwas Ähnliches erlebt haben – ich bin gespannt davon zu hören.

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