Wenn man, so wie ich, viel mit der Bahn unterwegs ist, lernt man – sofern man eine gute Portion Menschenfreundlichkeit mitbringt – viele unterschiedliche Menschen kennen. Meine Einteilung der Mitreisenden umfasst vier Bereiche:
1) Pendler
2) Geschäftsleute
3) Studenten, Rentner und 29€-Ticket-Reisende
4) Bundeswehr, Polizei und Bahnangestellte
Diese vier Gruppen lassen sich geradezu spielerisch charakterisieren, da sie sich alle grundverschieden im Zug bewegen und auftreten. Ausreißer in die eine und/oder andere Richtung gibt es immer, aber nach mittlerweile sieben Jahren Extrembahnfahren kann ich die Gruppen fast alle im Zug klassifizieren.
Gut, die Staatsbeamten und Bahnangestellten kann man durch die meist vorhandene Uniform erkennen, aber an einem Freitag braucht man unter einer Sekunde Reaktionszeit, um einen Bundeswehrangestellten von einem, sagen wir zum Beispiel Studenten auf Heimreise, zu unterscheiden. Nicht, dass die Studenten weniger Alkohol vor sich vor dem Tisch stehen haben, aber die Bundeswehr schläft und die nach Hause gebrachte Wäsche riecht intensiver als bei den Studenten.
Aber widmen wir uns jetzt mal den täglichen “Berufs”-Pendlern.
Wenn ich in meinem Freundeskreis davon erzähle, wie viel Zeit ich in Zügen verbringe, dann erhalte ich meist denselben Gesichtsausdruck meines Gegenübers: nämlich eine Mischung aus Staunen und Mitleid bis hin zu totalem Unverständnis. Gut, ich kann damit mittlerweile leben und es mir eigentlich auch egal, was man darüber denkt, denn alleine ich muss mit der selbst gewählten Situation leben. Es geht aber noch schlimmer, denn schlimmer geht immer! Gestern Abend bin ich mit einem Mitpendler gefahren, mit dem ich seit fünf Jahren den Zug teile, aber mehr als ein Gruß zwischen uns kam uns bisher nicht über die Lippen. Doch gestern teilten wir eine gemeinsame S-Bahnfahrt, eine Brühe in der Lounge und eine Teilstrecke auf der SFS (Schnellfahrstecke). Wir plauderten über die späte Uhrzeit, und dass ich dieses mal wohl länger im Büro geblieben sei. Er hingegen war “nur” eine S-Bahn später unterwegs als üblich. So begannen wir, uns unser gemeinsames Pendlerschicksal mitzuteilen: Sein Tag beginnt um 5 mit dem Wecker, die Zugfahrt um 6 und die Ankunft am gemeinsamen Bahnhof um 7.25 Uhr. Ich hingegen bin 10 Minuten später am Arbeitsplatz, er hingegen noch eine ganze Stunde joggend (und zwar jeden der ca 220 Arbeitstage im Jahr) weiter unterwegs. Als ich dann noch erfahren habe, wo er arbeitet, entglitten mir auch meine Gesichtszüge zu einer Mischung aus Staunen bis hin zu totalem Unverständnis. Denn sein Weg führt in den vorderen Taunus, also Berge hoch und runter. O. k., Sport steht bei mir nicht immer oben auf der Agenda, aber das finde ich schon wirklich beachtlich. Dann fragte ich ihn, ob er wenigstens am Abend den Bus nehmen würde, was er mit der Antwort: “Nein, ich bin schneller zu Fuß”, beantwortete. Hut ab, kann ich da nur sagen! In der Regel ist er dann um 20.30 Uhr zu Hause und um 5 fängt der Tag dann wieder an.
Ein früherer anderer Mitpendler fuhr jeden Arbeitstag um 4 zu Hause mit dem Rennrad
los, um den Zug um 5.30 Uhr morgens zu erwischen. Natürlich ging es am Abend auch
wieder die selbe Stecke zurück.
Ich sollte mir über meinen Fitnesszustand ernste Sorgen machen … und ihr so?